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Kriegsgefangenenlager Aigen Schlägl

Verschwiegen – Vertuscht – Verdrängt
Aigen-Schlägl 1945

Die Broschüre
Vorwort
Anmerkung zur Darstellung des Kriegsgefangenenlagers
Skizze vom Gefangenenlager
Georg Jestadt: In amerikanischer Kriegsgefangenschaft
Der Bericht von Kurt Hädicke
Der Bericht von Werner Barmann
Ein US-KZ in Deutschland
Schreiben vom Schwarzen Kreuz
Einweihung einer Gedenktafel am 6. 6. 1997
Festansprache von Dir. J. Gruber
Einsegnung der Gedenktafel
Bericht der Zeitschrift "Der Freiwillige"


Kunst u. Zeitgeschichte:
Herbert Friedl - Maler,Grafiker; Objekt- und Raumkünstler

Timeline zur Oberösterreichischen Zeitgeschichte 1938

Zeitzeugenberichte

Publikationen
zur Zeitgeschichte


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Geschichteclub Stahl



Der Bericht von Werner BarmannDer Bericht von Werner BarmannTodeslager für deutsche Kriegsgefangene und
ein ungesühntes Verbrechen der US-Armee

Der Bericht von Werner Barmann, Jahrgang 1927 (3)

Ehemaliger Angehöriger der Waffen-SS, in der Aufklärungsabteilung einer SS-Kavallerie-Division


Dann kam der 31. Mai, der denkwürdige "Tag der Skagerrak-Schlacht 1916". Noch zwei Jahre zuvor wurde auf unserer Penne dieser denkwürdigen Seeschlacht gedacht. Unser Pauker, Erich Schmädicke, Weltkrieg-I-Teilnehmer, legte da großen Wert darauf. Wo war die schöne Schulzeit geblieben? In dieser Nacht zum 1. Juni 1945 braute sich über dem Böhmerwald ein schweres Unwetter zusammen. Wie immer liefen alle Motoren der Bewacher-Fahrzeuge und die Scheinwerfer strahlten grell in die graue Masse Menschen. Bei den ersten Blitzen und im Donnerhall brüllten die Posten über Lautsprecher und Megaphone: "No moving or we shoot!"
Und dann öffneten sich die Himmelsschleusen zu Sturzbächen und Wasserfällen. Wer liegen blieb, schluckte nach kurzer Zeit Wasser. Sie schossen über unsere Köpfe hinweg mit Leuchtspur. Es war ein Feuerzauber wie an der Front. Wir mussten auf die Knie. Jeder raffte seine wenigen Habseligkeiten vor die Brust. Nach kurzer Zeit knieten wir bis zum Bauch und noch höher in dem reißenden Sturzbach, der durch das Lager toste. Das sind Situationen, die zu Ewigkeiten werden und die man bis ans Lebensende nie mehr vergisst. Trotz dieser gespenstischen Nacht ging am nächsten Morgen wieder die Sonne auf. Und nach und nach trocknete sie uns und unsere Habe.

Wir bekamen jeden Morgen einen Trinkbecher (von unserer Feldflasche) Kaffee, das war die Tagesration an Flüssigkeit. Wer das Glück hatte, Kaffee von weiter unten zu kriegen, hatte Satz mit drin. Damit war man im Vorteil, denn man konnte eine ganze Weile darauf kauen.

Plötzlich begann man einen Zaun zu bauen. Damit wurden wir zu Kriegsgefangenen der gehobenen Klasse. Aber es wurde eine fünf-Meter-Zone eingerichtet. Da immer mehr Männer kamen, wurde die Enge lebensgefährlich. Keiner wollte mehr an den Rand. Die Posten schossen sofort und die Ausfälle wurden immer größer.
Zu Mittag gab es einen Viertelliter Wassersuppe, welche undefinierbar war. Die Abendmahlzeit bestand aus einem glitschigen Kommissbrot für 20 bis 30 Mann.
Die medizinische Versorgung war gleich Null. Es waren genügend Ärzte im Lager. Aber die hatte man ja auch gefilzt. Ich musste in dieser Zeit zweimal zum Doktor, einmal mit Fieber. Der arme Äskulap-Jünger hatte ja nichts, was er uns geben konnte. Seine Therapie hieß: Liegen und versuchen Trinkwasser zu bekommen. Aber erst mal welches kriegen.

Bei trockenem Wetter floss ein Bächlein als dünnes Rinnsal durchs Lager. Es war das gleiche, welches uns die Hochwassernacht gebracht hatte. Man musste sich stundenlang in der Hitze anstellen. Die Kameraden kippten je nach körperlichem Zustand um wie die Fliegen. Und je nach Qualität der Posten fuhren diese dann mit Jeeps oberhalb des Stacheldrahtes durch den Wasserlauf hin und her, bis dieser versiegte, oder sie urinierten in den Graben.
Die zweite Arztvorstellung geschah auf Anordnung der amerikanischen Lagerleitung. Es wurde wieder mit DDT gestaubt. Unser Arztkamerad stellte dabei fest, dass wir uns mehr waschen müssten, aber womit?

Danach kam zu unserer Überraschung die Anordnung, in Gruppen von ca. 20 Mann in der Mühl zu baden. Es war das erste und einzige Mal in den endlosen Monaten im SS-Lager Aigen, dass unsere verhungerten Körper mit Wasser in Berührung kamen. Und das ging so:
Die Mühl war damals ca. fünf Meter breit und brust- bis halstief. Beide Ufer waren auf eine Länge von 20 Metern gespickt voll Posten mit MPis. Es würde sonst sofort auf alle geschossen. Dieses nasse Ereignis ist so fest in meiner Erinnerung verankert, weil es ein Gefühl war, als wäre man neu geboren. Leider ging alles zu schnell vorbei.

Irgendwann hieß es, Sonntag ist Gottesdienst. Wir hatten bisher außer den Posten noch keinen Menschen in der Nähe gesehen. War jetzt der Bann gebrochen? Vor dem Lagertor wurde Tage vorher ein Holzgerüst aufgebaut (von wem?), welches später ein großes Holzkreuz mit davor liegendem Altar darstellte. An besagtem Sonntag kamen morgens Leute des katholischen Klerus und kleideten alles mit weißen Tüchern und anderem religiösen Schmuck ein. Bis der Geistliche mit seinen Ministranten eintraf, hatten sich unsere Bewacher um diese für uns gedachte Weihestätte postiert. Sie flegelten sich Gummi kauend mit MPi und schiefen Helmen auf den Querbalken des Kreuzes und den Altar. Es war ein würdeloser Anblick, aber typisch für unsere Befreier der ersten Welle. Der Pastor versuchte trotzdem für uns noch eine weihevolle Stunde daraus zu machen.

Ich glaube in der Erinnerung, dass jeder der vielen, vielen Kameraden gleichsam ergriffen war. Gleich welcher Glaubenszugehörigkeit: Einen evangelischen Gottesdienst habe ich später in einem anderen Lager in würdeloser Form erlebt (dazu siehe W. Barmann "Das Glück der Erde").
Bei uns ging der Lageralltag weiter und damit der Durst und der Hunger. Es hieß, man hätte den Stacheldraht an Starkstrom angeschlossen. Daher wurde die fünf-Meter-Zone noch genauer beachtet. Oft machten sich die Posten den Spaß und warfen Essensreste oder Zigarettenkippen von den Wachtürmen runter. Sie hatten ihren Spaß, wenn sich die verhungernden Männer darauf stürzten, und schossen dabei irgendwohin. Meistens bekam keiner was, weil alles zertrampelt war.
Eines Tages passierte etwas Schreckliches vor unseren Augen. Zwei junge Kameraaden sprangen gleichzeitig in den Stacheldrahtzaun. Vermutlich nicht, um zu fliehen, sondern zu sterben. Eine Flucht über den Zaun war unmöglich, das wusste jeder von uns. Ihnen jedoch war die Flucht in eine bessere Welt gelungen. Die Posten schossen sofort. Die beiden wurden wie alle anderen Toten am nächsten Morgen abtransportiert.

Der Bericht von Werner Barmann, Jahrgang 1927 (1) (2) (3) (4)

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"Oberösterreich in der Zeit des Nationalsozialismus"
ein wissenschaftliches Großprojekt des Landes

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