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Zeitzeugenberichte

Vertrieben 1945 aus Südmähren

Einleitung
Meine Familie
Mein Heimatort Prittlach
Krieg 1939–1945
Rückzug der Deutschen; Höhlen als Verstecke; Kämpfe. April 1945
Erste Vertreibung
Der Leidensweg nach der Rückkehr nach Prittlach
Zweite Vertreibung
Stationen in Niederösterreich 1945–1946
Wilhelmsdorf bei Poysdorf
Waltersdorf
Eibistal
Wetzelsdorf
Grosskruth


Zeitzeugenberichte

Publikationen
zur Zeitgeschichte


www.regionalkultur.at
Geschichteclub Stahl



Zweite Vertreibung
Stationen in Niederösterreich 1945­1946Der Leidensweg nach der Rückkehr in Prittlach

In all den schrecklichen Tagen bis zur neuerlichen Vertreibung, dies am 28. 5. 45, hatte meine Familie, die Mutter schon sehr abgemagert, die Großeltern halb verhungert und mein Bruder und ich noch großes Glück.
Wir durften nicht mehr in das Haus Nr. 59 (tschechische Kommandantur), sondern gingen in mein Geburtshaus Nr. 201. Wieso wir dort die wenigen Tage bleiben durften, ist uns bis heute nicht klar. Vielleicht war es die Hanni Burghart, deren Elternhaus drei Häuser weiter stand und die in Brünn mit einem Tschechen verheiratet war, die uns half. Sie war mit ihrem Mann zur Mutter nach Prittlach gekommen, sie war eine gute Freundin meiner Mutter.

Als wir das Haus betraten, waren wir entsetzt, die Russen hatten "gehaust", es war das Geschirr zerdroschen, in der Küche alles schwarz vor Rauch, die Möbel zum Teil mit der Hacke beschädigt, das Bettzeug zerrissen. Die Bilder von den Wänden und zersplittert am Boden, die Notdurft hatten sie in den Zimmern verrichtet. Es war nur mehr zum Weinen, es wird sich dieses hoffnungslose Bild nie mehr löschen lassen. Zum Essen war auch nichts da. wir hatten erbärmlichen Hunger. Obwohl wir Kinder Verbot hatten, das Haus ja nicht zu verlassen, schlich ich mich auf die Strasse nach Saiz, da gab es eine Menge Kirschbäume. Es war in Südmähren so, dass die Straßen mit Kirsch- oder Nussbäumen bepflanzt waren. Diese Ernte konnten die etwas ärmeren Dorfbewohner bekommen, wenn sie auf der Gemeinde um einen geringen Betrag einen Baum kauften. Die Maikirschen waren fast reif, schöne gelbe Herzkirschen, soweit ein kleines Mädchen welche erlangen konnte, habe ich mich satt gegessen und noch welche mit heimgenommen. Natürlich bekam ich wegen dieses unerlaubten Ausflugs Schelte. Aber immer in meinem weiteren Leben im Mai habe ich an diese letzten Herzkirschen aus Prittlach gedacht. Und während ich unter diesen Bäumen stand, war mir als neunjähriges Kind bewusst und sehr weh ums Herz, ich wußte, es waren die letzten Kirschen, die ich hier pflücke. Dabei hatten wir in einem Weingarten, nicht weit entfernt, auch einen dieser frühen Kirschbäume, aber wir wussten, wenn wir erwischt werden, dann gibt es Schläge.

Meine Mutter hatte also doppeltes Glück, nicht im Lager, nicht vergewaltigt, eine Freundin von ihr, die Schneider Kati, war mit den beiden Mädchen Hermi und Rosi inhaftiert, wobei die Hermi meine Freundin war, so alt wie ich. Sie erzählte mir das Elend dieser Frauen, tags schwer arbeiten, nachts kamen die Tschechen mit Autos, um sie abzuholen und zu den Russen zu bringen, auch selber waren sie beteiligt. In der Früh kamen sie halb tot zurück, das Jammern und Schreien der Kinder nahm kein Ende.

Alle schlecht aussehenden, nicht mehr zur Arbeit zu gebrauchenden Menschen wurden zum Gemeindegasthaus beordert. Dort mussten sich alle anstellen und im Saal an Tischen vorbeigehen, wo Tschechen saßen, die allen Schmuck abnahmen, Ohrringe, Ringe, mehr als eine Tasche hatte man nicht, diese musste geöffnet werden und schönere Gegenstände wurden beschlagnahmt.

Größere Kinder mussten mit vorbeigehen, ich hatte fürchterliche Ängste, dass meiner Mutter etwas geschehen würde, sie zitterte auch am ganzen Körper. Die Schmach und die Demütigung dieser Menschen war unbeschreiblich.

Wir hatten noch besondere Angst, der Grund war, dass im Haus Nr.201 in der Kellerstiege Schmuck eingemauert gewesen war, von meinem Wiener Großvater eine goldene Taschenuhr mit schwerer Kette, Armbänder, Ringe. Das alles gelang uns bei der Rückkehr herauszuholen. Mein Bruder war als Kind zu klein und musste nicht durch die Visitation. Er hatte all diesen Schmuck um den Hals gehängt, das Hemd und Jackerl bis zum Halse zugeknöpft. Es war ein sehr heißer Maitag und er wollte immer das Hemd öffnen, aber so gescheit war er doch, er wusste, meine Mutter wäre zu Tode geprügelt worden, und so marschierte er tapfer in der Hitze.

Diesmal wurden wir über Neumühl über die Thaya in Richtung Nikolsburg getrieben. Auch diesmal wieder dieselben Szenen, wir durften nicht zu den Brunnen und nichts trinken. Die Brücke über die Thaya war gesprengt worden und es lagen nur Bretter über dem Wasser, diese bogen sich unter der Last der vielen Menschen beängstigend, wir wateten bis zu den Knöcheln im Wasser. Wir hatten große Angst, umso mehr als meine Mutter zum Großvater sagte, am besten für uns alle wäre, wir springen gleich in die Thaya, was für ein Leben haben wir noch zu erwarten? Da sagte ich zu meinem Bruder, wir gingen voran und hielten uns an der Hand: "Helmut, schnell, schnell, die Mama will mit uns ins Wasser, wir können doch nicht schwimmen ..."
Vorbei an den schönen Pollauer Bergen, die wir vom Elternhaus aus immer gesehen hatten, am Abend blinkte der Leuchtturm wegen der Flieger, ging es in die alte Stadt Nikolsburg. Dort waren schon ähnliche Verhältnisse wie in Prittlach, es war ein Chaos. Als wir endlich die Grenze erreichten, Drasenhofen, schossen uns die Tschechen noch nach und führten Schmähreden: "Geht nach Österreich und Deutschland in die zerbombten Städte, dort gehört ihr hin und kommt niemals wieder hierher ..."

Erschöpft lagen wir einige Zeit im Straßengraben, aber man hatte Angst, weil immer wieder Russen vorbeizogen. Bis Poysdorf, dieser schöne Weinort, war die Straße gesäumt mit Tierkadavern. Pferde, Rinder, halb zerstückelt, teils aufgedunsen, stinkend, ein trauriger Anblick. Wir wankten bis Poysdorf weiter, wo wir am Abend vor Erschöpfung rund um die Mariensäule am Hauptplatz lagen.


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"Oberösterreich in der Zeit des Nationalsozialismus"
ein wissenschaftliches Großprojekt des Landes

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