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Zeitzeugenberichte

Vertrieben 1945 aus Südmähren

Einleitung
Meine Familie
Mein Heimatort Prittlach
Krieg 1939–1945
Rückzug der Deutschen; Höhlen als Verstecke; Kämpfe. April 1945
Erste Vertreibung
Der Leidensweg nach der Rückkehr nach Prittlach
Zweite Vertreibung
Stationen in Niederösterreich 1945–1946
Wilhelmsdorf bei Poysdorf
Waltersdorf
Eibistal
Wetzelsdorf
Grosskruth


Zeitzeugenberichte

Publikationen
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Erste Vertreibung
Der Leidensweg nach der Rückkehr in PrittlachRückzug der Deutschen; Höhlen als Verstecke; Kämpfe. April 1945

Man wird es nicht für möglich halten, die Menschen aus Prittlach wurden zweimal vertrieben. Zweimal Angst, Prügel, Raub des letzten Hab und Gutes, zu Tode gekommene Alte, Kranke und Kinder. Aber auch getäuschte Hoffnung wieder heimgehen zu können, allerdings in eine noch ärgere Hölle.

Es war Mitte Mai 1945, die Tschechen allein führten die wilden Austreibungen durch, es beteiligte sich kein Russe.

Es drang am Vormittag plötzlich lautes Gejohle, Singen und Lärm ins Haus, wir schauten aus den Fenstern und sahen ca. 100 Männer aus der Nachbarortschaft Rackwitz, ein jeder mit einen Gummiknüppel in der Hand, voran der Gendarm. Dieser Ort war rein tschechisch, wir waren das angrenzende erste Dorf von Deutsch Südmähren. Man kannte sich gegenseitig und so war zu sehen, dass sich alles an dieser Vertreibung beteiligte, es war nicht der Pöbel, Arzt, Lehrer, Beamte, Landarbeiter. Man verteilte sich so vor dem gegenüberliegenden Gemeindegasthaus, immer zwei und zwei, sie trugen rote Armbinden.

Mein Großvater konnte nicht schnell genug die Haustür öffnen, sie wurde fast hereingebrochen. "Hinaus, sofort aus dem Haus", schrien sie, "auf den Dorfplatz!" Da rannte mein Großvater und holte seinen Wintermantel und legte die Taschenuhr daneben. Mein Bruder und ich standen zitternd daneben, als sie sofort von einem Tschechen eingesteckt wurde. Die Großmutter lief in die Speis, kam mit einer blauen Milchkanne heraus (dieses Blau werde ich mein Leben nie vergessen), darin eingegossen in Schmalz war eine Gans. Meine Mutter lief in den "Kerker" , im Finstern wollte sie einen Anzug für meinen Vater suchen, sie wurde grün und blau verprügelt und hatte nur ein Bündel mit Seidenblusen in der Hand. "Dein Mann kann gut mit einem Anzug aufgehängt werden!" rief ein Tscheche. Am großen Kirchenplatz war schon das halbe Dorf versammelt, es gab ein Weinen und Wehklagen, dem Pfarrer Karl Heinz nagelten sie ein großes Hitlerbild auf den Rücken. Ein Verwandter der Mutter, ein Kriegsinvalide, ein junger Bursch, hatte nur einen Armstumpf. An diesen wurde ihm ein Sandsack angebunden, den er hinterherschleppen musste. Hinter ihm ging ein Tscheche mit einer Ziehharmonika, der sang und ihn verspottete.

Meine Großmutter väterlicherseits, Agnes Nimmerrichter, hatte kranke Beine, wir hörten daß jene, die nicht gehen konnten, mit Lkws nachgebracht würden. Das geschah jedoch nicht, das letzte Mal sahen wir sie mit dem Taschentuch vor dem Haus, wie sie uns nachwinkte ... Alle diese kranken Menschen und kranken Kinder wurden zusammengefangen und in Viehwaggons Richtung Brünn abtransportiert. Bis heute wissen wir nicht, wann, wo und wie sie gestorben ist, es ist ein ewiger Schmerz in der Familie geblieben.

Aus Prittlach wurden 840 Personen vertrieben, unser Weg führte in das tschechische Rackwitz (Rakvice), dessen Bewohner waren nicht zu sehen. Man sah nur manchmal einen verstohlenen Blick aus dem Fenster. Erst nach der Wende hörte man, dass nicht alle mit diesem fürchterlichen Vorgehen einverstanden waren, man hatte so viele Generationen ein gutes nachbarschaftliches Verhältnis gehabt.

Außerhalb von Rackwitz gab es einen so genannten Meierhof, große Stallungen, aber keine Tiere mehr drinnen. Dort wurden wir hineingejagt und mußten im Dreck übernachten, es gab nichts zu essen, nur Wasser besorgten die Frauen zum Trinken. Die ganze Nacht wurde herumgeschossen, bis man aus dem Stall ca. 30 alte Männer und Buben herausholte. Angeblich wäre in Prittlach ein Tscheche umgebracht worden und als Vergeltung werden diese Menschen dafür erschossen. Mein Großvater war auch dabei, das Geschrei und Weinen der Frauen und Kinder war unbeschreiblich.

Am frühen Morgen wurden wir herausgetrieben und sahen die Männer und Buben wieder, die wir für tot hielten. Mein Großvater, wie schon berichtet, der Tschechisch verstand, hatte alles mitangehört. Es haben sich die Russen eingeschaltet und Unterhändler nach Prittlach geschickt, die sollten die Aussage wegen des toten Tschechen überprüfen. Als sich dies als Lüge herausstellte, befahlen sie sofort die Leute freizulassen.

Nun trieben sie uns in Richtung Kostel, neben meinem Großvater ging der Bürgerschullehrer Vesely mit einem Knüppel. Mein Großvater sagte: "Um Gottes Willen, Herr Vesely, was treibt ihr denn mit uns?" Er sagte: "In Lundenburg werdet ihr in einem Zug Richtung Sibirien abtransportiert." Das war dann doch zu unserm Glück nicht der Fall. In Unter-Themenau stand auf der Straße ein Brunnen, wir Kinder rannten zuerst los, sie ließen uns jedoch nicht trinken und schlugen uns mit den Knüppeln auf die Händchen. Als wir doch einen Kübel erreichten, warfen sie ihn um, die Kinder weinten über den Durst und die geschwollenen Händchen. Dann war die Grenze erreicht, der erste österreichische Ort war Reintal, hier konnten wir uns endlich in den Straßengraben setzen.

Einer fragte den anderen: "Ja wo sollen wir denn jetzt hin?", aber keiner wusste eine Antwort. Man hatte nur die eine Vorstellung, dass man so lange von Ort zu Ort ziehen würde, bis wir vor Hunger und Erschöpfung im Straßengraben liegen bleiben und verrecken. Wir waren von heute auf morgen nur noch so was, auf das ein Hund sein Haxl hebt, wir waren nur noch als deutsche Schweine beschimpft worden, wir hatten nichts mehr und wir waren nichts mehr, kein Ziel, kein Weg.

In Reintal baten wir die Frauen um etwas Milch für die Babys, aber die waren ja auch von den Russen ausgeplündert worden, es wurden uns einige gekochte Erdäpfel gegeben, wir übernachteten in Scheunen und Hütten. Am nächsten Morgen versammelten wir uns wieder und gingen der Nase nach, wir kamen nach Großkruth. Dort blieben die meisten in Ställen liegen, man ersetzte das Vieh, welches die Russen mit endlosen Viehtransporten Richtung Russland trieben, das machten sie, weil die Bahnlinien unterbrochen waren u. auch Waggons fehlten. Viele alte Männer, Buben und auch Kinder wurden für die Viehtreibertransporte zusammengefangen, auch mein Großvater, der aber über Nacht entkommen konnte. Alle übrigen armen Menschen sahen die Heimat nicht wieder.

Wir kamen mitten am Dorfplatz in ein gelbes Stockhaus, wo wir am Boden schlafen durften. Am nächsten Tag kamen "Unterhändler" von den Tschechen, die sagten, wir können sofort nach Hause. Die Austreibung war kein Befehl von oben, sondern von einigen Fanatikern veranlasst worden. Alles war überglücklich, weil es wieder heimging, und wenn wir es noch so schwer haben würden, mit Null anzufangen, jeder hatte Hoffnung, wir würden schon wieder arbeiten und wir konnten im Dorf zusammenbleiben. Zurück gingen wir dann über Feldsberg und Eisgrub, wir wollten diese tschechischen Gesichter nicht mehr sehen.



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"Oberösterreich in der Zeit des Nationalsozialismus"
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