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Zeitzeugenberichte

Vertrieben 1945 aus Südmähren

Einleitung
Meine Familie
Mein Heimatort Prittlach
Krieg 1939–1945
Rückzug der Deutschen; Höhlen als Verstecke; Kämpfe. April 1945
Erste Vertreibung
Der Leidensweg nach der Rückkehr nach Prittlach
Zweite Vertreibung
Stationen in Niederösterreich 1945–1946
Wilhelmsdorf bei Poysdorf
Waltersdorf
Eibistal
Wetzelsdorf
Grosskruth


Zeitzeugenberichte

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Krieg 1939 bis 1945
Rückzug der Deutschen; Höhlen als Verstecke; Kämpfe im April 1945Mein Heimatort Prittlach

Mit dem "Münchner Abkommen" der vier Siegermächte des I. Weltkrieges bekam Hitler die verlangten Sudetengebiete, die seit der ersten Gründung der Ersten Tschechischen Republik an diese gefallen waren, zurück, sie wurden dann wieder an die niederösterreichischen und deutschen Gebiete eingegliedert.

Es gab die ersten Einberufungsbefehle, Polen, Frankreich. Onkeln und mein Vater kamen zur Wehrmacht, übrig blieben bis Kriegsende alte Leute und Kinder. Die Bewirtschaftung der Bauernhöfe war schwierig geworden, es kamen aber so genannte tschechische Taglöhner, junge Männer, da diese unter Hitler nicht einrücken mussten. Sie blieben die Woche hier oder auch nur tageweise, es gab gutes Essen, alles, was man bisher kannte, auch den sehr beliebten "Hausdrunck", ein alkoholarmer Wein, der aus den nochmals aufgemeischten Trauben gepresst wurde, ähnlich wie hier der Most. Von Spannungen zwischen der Bevölkerung war für die normalen Leute am Lande nichts zu verzeichnen, es hatte ja Hitler unerlaubt auch die übrige Tschechei eingenommen und das sogenannte Protektorat Böhmen und Mähren ausgerufen.

Wir Kinder mussten für die Soldaten sammeln, Krauter für Tees, Zinnkraut, Kamillen und Brombeerblätter, in der Schule gab es eine Seidenraupenzucht, für diese Tiere mussten wir die Maulbeerblätter sammeln, diese Bäume wuchsen fast in jedem Garten. Die Seide wurde dann für die Fallschirme der Flieger verbraucht, es gab ja noch keine Kunststoffgarne. Auch altes Papier, Knochen etc. wurde gesammelt. Gestrickt von den größeren Mädchen wurden Socken, Fäustlinge, Hauben. Kleine Söckchen wurden mit Schafwolle oder Daunen gefüllt und dann zu großen Decken zusammengenäht. Alles wurde für die armen Soldaten an die Front geschickt und wir waren mit großer Begeisterung dabei, um helfen zu können.

Bis jetzt hatte der Radio, fast in jedem Haus gab es einen so genannten Volksempfänger, nur Siege gemeldet, aber dann bahnte sich die Katastrophe von Stalingrad an, allein in diesem kleinen Ort gab es 17 Soldaten, das Schicksal ungewiss. Mein Großvater Friedrich hatte von der Gemeinde aus das unglückliche Amt zugeteilt erhalten, an die Familien die Nachricht vom Tod oder vom Vermissten auszutragen. Man wusste natürlich, wenn er auf der Straße auftauchte, dass er eine Hiobsbotschaft bringen könnte. Er traute sich dann auch ohne diese nicht mehr hinaus, da in den Häusern die Frauen schon weinten und schrien, bevor er sie noch betreten hatte. Er war nervlich so fertig, dass er sich daraufhin weigerte, diesen traurigen Dienst weiter zu versehen.

Es blieb uns zwar die Bombardierung erspart, allein in Lundenburg, wo es eine Zuckerfabrik gab, fielen Bomben, das war der nächste Ort, ca. 3o km. In der übrigen Tschechei fielen keine Bomben, außer einige in Brünn, man flog darüber, es war ein Versehen, erreichen wollte man die deutschen Städte. Die Flugverbände waren sehr hoch mit Kondenzstreifen zu sehen, man warf silbriges Streifenpapier ab, dies zur Irritation der Flak. Aber wir hatten strenges Verbot als Kinder etwas aufzusammeln, da auch Spielzeug, welches explodierte, abgeworfen wurde.


Tieffliegerangriffe waren dann an der Tagesordnung, man schoss auf alles, was sich bewegte. Vorher war ich meistens mit meiner Mutter in den Weingärten um zu helfen, Reben aufbinden, ernten, aber dann mussten wir zu Hause bleiben, mein Bruder, der vorher im Kindergarten war, auf den musste ich aufpassen, da dieser geschlossen wurde und auch die Schule konnten wir zum Schluss nicht mehr besuchen. Ein derartiger Tieffliegerangriff hätte meiner Freundin Grete und mir fast das Leben gekostet. Wir gingen mit unsern kleinen Kinderwägelchen trotz Verbot auf die Straße, als von den Weinbergen herunter die Flieger Richtung Thaya flogen und neben uns die Salven einschlugen. Dieses Erlebnis haben wir dann wohlweislich erst viel später unseren Eltern gebeichtet.

Nachts sah man den Feuerschein von Wien, fast täglich brannte die Stadt, wenn der "Kuckuck" im Radio rief, stellte der Sender das Programm ein und meldete: "Starke Verbände kommen über Kärnten und Steiermark Richtung Wien"; Aufruf in den Luftschutzkeller zu gehen.

Von der Slowakei horte man schon den Kanonendonner, das Fürchten war ein Dauerzustand, deutsche Soldaten zogen vorbei und rieten uns vor den Russen zu fliehen, es wäre nichts Gutes zu erwarten, Vergewaltigungen waren an der Tagesordnung.

Ein Erlebnis zur letzten Weinlese 1944 wird mir immer in Erinnerung bleiben. Es war schon die Vorahnung, was wird mit uns geschehen, wenn dieser Krieg verloren ist.

Es kam ein Zug von Donauschwaben in unseren Ort, mit Rössern und Planwägen, vollgestopft mit Bettzeug, Geschirr, gerettetes Hab und Gut vor der heranrollenden russischen Front. Im großen Bauernhof meiner Großeltern blieb ein Wagen, der Aufnahme fand. Eine alte schwarz gekleidete Frau saß hinten am Wagen. Meine Großmutter gab mir eine Schüssel mit Weintrauben, die ich ihr reichte. Sie nahm diese weinend an und strich mir über den Kopf und sagte immer wieder: "Bitteres trauriges Leben." Die Familie hieß Jorend, auch sie wurden dann mit uns vertrieben und verloren ihr Letztes aus der Heimat. Diese Geschichte ist so unglaublich, weil wir uns nach der Vertreibung in Grosskruth in NÖ wiederfanden. Wir hatten ein Zimmer bekommen und meine Mutter sagte, ich solle gegenüber im Gang nachsehen, ich würde Bekannte treffen.
Es war diese Familie, die alte Frau erkannte mich und wieder nahm sie mich zu sich und sagte ihr "bitteres trauriges Lebenssprüchlein".


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"Oberösterreich in der Zeit des Nationalsozialismus"
ein wissenschaftliches Großprojekt des Landes

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