Home

Brigitta Doppler, geb. Schneidergruber
Erinnerungen aus meiner Kindheit in Rohrbach und Herzogsdorf

Einleitung
Fliegerangriff
Mein Bruder Gottfried
Meine Freundin Helga
Notzeit
Tiefflieger / Beim Windner, Hilkering 6
Die amerikanischen "Befreier"
Gendarm erschossen
"Die Russen kommen"
Russeneinquartierung

Papa kehrt heim am 6.4.1946
Schulzeit
Der weiße Wecken
Landleben im Jahreskreis


Was Mama erzählte.
Berta Schneidergruber
erzählte verschiedene G´schicht´n, die Tochter Brigitta Doppler, aufschrieb.


Zeitzeugenberichte

Publikationen
zur Zeitgeschichte


www.regionalkultur.at
Geschichteclub Stahl



Der weiße Wecken      Landleben im Jahreskreis


Das Leben auf dem Bauernhof war zwar hart, aber sehr abwechslungsreich. Jede Jahreszeit war neu für mich. Wir brauchten wenig Spielsachen, denn der Umgang mit Tieren, der Aufenthalt in der Natur und das Leben auf dem Hof bot genug Abwechslung. So lernte ich, die Natur und die Pflanzen zu lieben.
Im Frühjahr bearbeitete der Bauer die Felder, das war besonders mühsam, weil die Amerikaner mit ihren schweren Panzerfahrzeugen querfeldein gefahren waren und tiefe Gräben hinterlassen hatten. Mit dem vorgespannten Ross wurden die Äcker bearbeitet, geackert, geeggt, Kartoffeln eingelegt, gesät und vieles mehr.

Die Heuernte war noch viel aufwändiger als heute. Ganz früh am Morgen, noch vor der "Suppn" (Milch mit eingebrocktem Brot als Frühstück), wurde das Gras gemäht, dann zum Trocknen auseinander gebreitet, am Nachmittag gewendet und abends auf "Schöberl" zusammengerecht. Am nächsten Tag wurde das halbtrockene Futter wieder auseinander gebreitet, und wenn es genügend trocken war, konnte man es endlich einfahren.
Als ich größer wurde, durfte ich mit dem Ross den Leiterwagen zwischen Feld und Hof hin- und zurückfahren und half bei der Getreideernte mit.
Im Sommer kam die Dreschmaschine, da war der ganze Hof voller Leute, die Maschine machte einen Höllenlärm, es staubte fürchterlich, aber ein Sack Getreide nach dem anderen wurde auf den Troadboden geschüttet. Da die Bäuerin beim Dreschen gebraucht wurde und dabei mehr helfen konnte, war sie froh, wenn Mama für alle kochte. Es gab da meist Geselchtes mit Knödeln und Kraut, Bauernkrapfen und ein kaltes Koch, einen Pudding aus Mehl, obenauf Saft oder Honig, was köstlich schmeckte.
Später genossen wir es, wenn wir im Getreidekasten die Körner umkehren (umschaufeln) durften. Da wälzten wir Kinder uns und vergruben unsere nackten Beine in den kühlen Getreidekörnern.
In den Wäldern suchten wir nach Schwammerln, Beeren und Fichtenzapfen.
Im Herbst durften wir nach der Ernte im Rebenfeuer Kartoffeln braten, die wir heiß verspeisten, auch wenn wir uns dabei die Finger verbrannten und rußige Gesichter bekamen.
Noch besser waren die Feuerzelten, die uns die Bäuerin auf der Ofenplatte aus dem letzten Brotteig buk, heiß und mit Butter oder Schmalz bestrichen wurden sie begierig verzehrt.

Wenn die Felder abgeerntet und das Grummet eingefahren war, wurden die Rinder auf die Weide getrieben. Wir Kinder hüteten sie und passten auf, dass sie nicht ins Kleefeld gingen. Wenn es noch warm war, durfte auch mein Bruder mitgehen. Dabei setzte ich ihn einmal auf seinen Mantel am Wiesenrand, doch er lief uns nach. Da bemerkten wir, dass eine Kuh etwas Eigenartiges im Maul hatte – es war der Mantel meines Bruders, den sie gerade hinunterwürgen wollte. Mit vereinten Kräften zogen wir ihn wieder aus dem Kuhmaul. Er war zwar ganz schleimig, aber wir waren froh, es rechtzeitig gesehen zu haben. Wir wären schuld gewesen, wenn die Kuh womöglich eingegangen wäre, und Gottfried hätte keinen Mantel mehr gehabt. Damals konnte man nicht einfach im nächsten Geschäft einen kaufen.

Meist schneite es schon um Leopoldi das erste Mal und oft mussten wir bis über die Knie im Schnee zur Schule stapfen. Papa nähte mir deshalb eine lange Hose aus Pepita-Wollstoff, so war ich das erste Mädchen, das in Hosen zur Schule ging. Anfangs wurde ich belächelt und von den älteren Frauen scheel angesehen, doch wenn ich bei meinen Schulkolleginnen die nassen Strümpfe und den steif gefrorenen Rocksaum sah, war ich stolz auf meinen geschickten Vater, der auch nähen konnte.

Während eines Schneesturms musste ich einmal nach der Schule alleine nach Hause gehen, weil ich kein Geld für den Autobus hatte. Gleich nach dem Dorfende erfasste mich der Sturm so gewaltig, dass ich überhaupt nichts mehr sehen konnte und keine Luft mehr bekam. Ich kehrte um und ging zu Tante Resi, die erschrak, als ich so halb erfroren ankam. Sie gab mir etwas zu essen und ich wärmte ich mich bei ihr wieder auf. Dann ersuchte sie eine Nachbarin, die Hofinger Resi, mich zumindest ein Stück zu begleiten. Ich bin der Frau heute noch dankbar, dass sie fast die Hälfte des Weges mit mir gegangen ist, bis sie sicher sein konnte, dass ich jetzt alleine heimfinde. Als ich endlich heimkam, saßen die Frauen, auch einige Nachbarinnen, in der Stube beim Federnschleißen und Spinnen.
Mama war schon sehr in Sorge gewesen, aber sie dachte, bei dem Schneesturm würde ich so vernünftig sein, zu ihrer Schwester Resi zu gehen.
Alle haben mich gelobt, dass ich so tapfer war, mehr als die Hälfte des Weges allein durch den Schneesturm zu gehen.
Am Abend kamen dann Musikanten zur Rockaroas, es wurde gesungen und gespielt und es wäre schade gewesen, so etwas Lustiges zu versäumen.

Schön waren auch die kirchlichen Feste: Am Palmsonntag trug man prächtige Palmbuschen aus langen Haselnusszweigen, die mit bunten Bändern geschmückt waren, in die Kirche. In der Mitte steckten auch schöne rotbackige Äpfel. Die Buben wetteiferten, wer den längsten und schönsten Buschen hat, aber mancher kam etwas zerzaust nach Hause, weil sie unterwegs damit gekämpft oder die Äpfel herausgeschnitten hatten.
Die Auferstehung wurde am Karsamstagnachmittag gefeiert und Ostersonntag gab es die Godnsach für die Patenkinder, bunte Eier, Osterstriezel und Süßigkeiten, manchmal auch ein Butterlammerl = aus Butter geformtes Lämmchen.
Im Mai ging man zur Maiandacht, dann gab es die Bitttage, bei denen in Prozessionen um Segen für die Feldfrüchte gebetet wurde.
Zu Fronleichnam wurde das Allerheiligste in feierlicher Prozession durch den Ort getragen. Der Priester schritt unter einem Himmel, der von vier Männern getragen wurde.
Die Schulmädchen waren weiß gekleidet und die Erstkommunikanten trugen weiße Lilien in den Händen. Es gab vier schön geschmückte Altäre, bei denen die Evangelien vorgetragen wurden, doch da hatte ich immer Angst, wenn die Böller krachten, das erinnerte mich jedes Mal an den Krieg.
Sonnwend- und Petersfeuer durften natürlich auch nicht fehlen. Einmal hatten wir ein ganz prächtiges, weil wir einige Reisigbündel von einem Stoß am Waldrand verheizt hatten. Der Bauer, dem sie gehört hatten, war ganz begeistert über das schöne Feuer, aber als wir ihm zeigten, von wo wir das Holz dafür genommen hatten, war seine Freude nicht mehr so groß. Schließlich hat er darüber gelacht, ist über das Feuer aus seinen eigenen Reisigbündeln gesprungen und hat fröhlich mit uns gesungen.

Auch Erntedank und Kirchtag wurden gebührend gefeiert; dabei wurde aber öfters zünftig gerauft.

Besonders prächtig waren manche Hochzeiten. Das ganze Dorf war auf den Beinen. Wer nicht geladen war, kam zumindest zum Zuschauen. Ich war nicht schüchtern und hatte eine kräftige Stimme, so musste ich manchmal bei großen Hochzeiten ein Gedicht vortragen. Danach wurde ich mit einem Stück Hochzeitstorte oder auch mit ein paar Groschen belohnt.
Auf manchem Hochzeitsfoto aus dieser Zeit kann man mich als weiß gekleidetes Mädchen sehen, obwohl ich gar nicht zur Hochzeitsgesellschaft gehörte.

Weihnachten war bei uns immer etwas Besonderes. Mama hatte im Sommer in der Bogendorferleit´n Reisig gehackt, so konnte sie den Ofen kräftig heizen, kochen und Kekse backen und unsere Wohnung war gemütlich warm. Meine Klassenkameradinnen holten mich um diese Zeit gerne von zu Hause ab, weil sie hofften, ein paar Kekse zu bekommen, und sie unseren schön geschmückten Christbaum sehen wollten. Ich wunderte mich darüber, bis ich bemerkte, dass es bei ihnen zu Hause meist nur ein kümmerliches Bäumchen mit ein paar Kugeln, Ringerln und Engelshaar gab. Obwohl meine Mutter nicht so viele gute Zutaten zur Verfügung hatte, buk sie bessere Kekse und Lebkuchen.

Die Beschaffung von Essen war immer noch sehr beschwerlich. Das meiste war rationiert und man bekam es nur gegen Lebensmittelmarken. In Herzogsdorf waren zwar zwei Gemischtwarenhandlungen, aber der nächste Fleischhauer war einige Kilometer weit weg in Gerling, das war ein Fußmarsch von ein paar Stunden, um Fleisch einzukaufen. Mit etwas Glück konnte man mit einem Fuhrmann ein Stück mitfahren.

Wenn die Kühe bei unserem Bauern keine Milch gaben, mussten wir die Milch woanders holen. Ich ging ganz gerne, denn da konnte ich mit den andern Bauernkindern spielen.
Einmal rief mich die Bäuerin zu sich und bat mich, ihren zwei Buben, die mit mir in die Klasse gingen, bei den Aufgaben zu helfen. Bald waren wir damit fertig und als Belohnung stellte sie mir einen großen Teller mit Leberschädl, Sauerkraut und Erdäpfeln hin. Das war das Köstlichste, das ich seit langem gegessen hatte, und heute noch zählt es zu meinen Lieblingsspeisen.

Da unsere Lebens- und Wohnbedingungen äußerst beschränkt waren, kauften meine Eltern in Rottenegg ein leerstehendes, desolates Häuschen, bauten es neu auf und wir konnten im Herbst 1949 dort einziehen. Wir waren sehr glücklich dort, direkt im Kleine-Rodl-Tal, aber die Verkehrsbedingungen waren katastrophal. Wer am Wochenende, am frühen Morgen oder spätabends arbeiten musste oder Kurse besuchen wollte, brauchte ein eigenes Fahrzeug.

Die Familie wurde durch meine Heirat größer und das Häuschen war schließlich zu klein. Deshalb bauten mein Mann und ich gemeinsam mit meinen Eltern das Zweifamilienhaus in Puchenau. Wir wohnen gerne hier, obwohl es 1962, als wir eingezogen sind, wesentlich schöner und ruhiger war. Über den Golfplatz hinweg konnte man bis zur Donau sehen und es war kaum Verkehr. Meine Eltern sind leider schon verstorben und Sohn Reinhard hat die obere Wohnung übernommen.

Seit meiner Kindheit haben sich die Lebensbedingungen gewaltig verändert. Vieles, was heute selbstverständlich ist, konnte man sich damals in seinen kühnsten Träumen nicht ausmalen.
Die Kinder können sich heute gar nicht mehr vorstellen, wie das Leben damals war.
Trotz der Angst und der Entbehrungen denke ich gerne an meine Kindheit zurück. An meine Eltern, die mir Liebe und Geborgenheit gegeben haben und keine Mühe gescheut haben, um uns ein Heim zu schaffen. Ich danke auch den Menschen, von denen ich gelernt habe, dass man auch mit Wenigem glücklich und zufrieden sein kann.


nach oben(1) (2) (3) (4) (5) (6) (7) (8) (9) (10) (11) (12) (13)


"Oberösterreich in der Zeit des Nationalsozialismus"
ein wissenschaftliches Großprojekt des Landes

Näheres zum Projekt, sowie zur detaillierten Publikationsliste (Stand Oktober 2007) ...