Home

Wie ich als Elf- bis Zwölfjähriger die Endzeit des
Krieges und die Jahre unmittelbar nach 1945 erlebte

Meine Erinnerungen - Einleitung
Die Kriegs- und Notzeit vor und nach 1945
Was sich damals in Puchenau ereignete
Bomben auf Puchenau
Der große Bombenangriff
Bei der Hitlerjugend
Im Dienste der Gemeindeverwaltung
Die letzten Tage vor Kriegsende
Keine Angst?
Die Besatzungszeit nach dem Einmarsch der Amerikaner
Die letzten Tage im Mai 1945. Wie wir lebten
Die Russen sind da. Die Donau als Demarkationslinie.
Mein Vater war Nationalsozialist


Kunst u. Zeitgeschichte:
Herbert Friedl - Maler,Grafiker; Objekt- und Raumkünstler

Timeline zur Oberösterreichischen Zeitgeschichte 1938

Zeitzeugenberichte

Publikationen
zur Zeitgeschichte


Heimatvertriebene


www.regionalkultur.at
Geschichteclub Stahl



Meine ErinnerungenDie Russen sind da. Die Donau als Demarkationslinie.Mein Vater war Nationalsozialist


Im Lauf des Jahres 1942 musste Vater einrücken. Er fehlte uns schon sehr. Er kam zuerst zur Sanität, weil er auf einem Auge von Geburt an blind war. Er meldete sich aber dann freiwillig zur Wehrmacht, kam zur Panzerabwehr und war bis zu seiner Verwundung, ungefähr zu Anfang des Jahres 1944, an der Ostfront im Einsatz. Diese Verwundung rettete ihm übrigens das Leben. Einen Tag später erhielt sein Geschütz einen Volltreffer, den keiner überlebte. Nach seiner Gesundung wurde er zwischenzeitlich als Ausbilder und zuletzt an der Westfront als Kompaniechef im Raume Arnheim in Holland eingesetzt. Irgendwann hatte er in der Zwischenzeit auch die Offiziersschule absolviert und war als Leutnant ausgemustert worden. Er wurde ausgezeichnet mit dem EK I und dem deutschen Kreuz in Gold. Leider haben wir keinen der Orden und auch keines der Dokumente dazu überliefert. Mutter verbrannte vieles in der ersten Aufregung unmittelbar nach dem Kriege. Eigentlich ein Unsinn, weil sowieso jedermann Bescheid wußte, dass Vater bei der Partei war und Verdienste um die NS-Bewegung hatte. Er war dafür mit dem sogenannten "Blutorden" ausgezeichnet worden. Nach heutiger "politisch korrekter" Geschichtsauffassung und Wertung war mein Vater also auf der falschen Seite. Aber er hat getan und gehandelt entsprechend seiner Überzeugung. Er war 1945 kein Verbrecher, sondern ein poli-tisch Verfolgter. Im Übrigen blieb ihm ein Gerichtsverfahren nicht erspart. Darüber noch mehr weiter unten.

Zum Thema Nationalsozialismus von mir befragt äußerte er sich unter anderem folgendermaßen:
"Ich war keineswegs mit allem einverstanden, was geschah. Aber die NS-Bewegung erschien mir als die einzige politische Kraft, die nicht nur die notwendigen, auch von den Sozialdemokraten angestrebten sozialen Reformen verwirklichen konnte, sondern auch bereit und fähig war, der bolschewistischen Diktatur mit ihren Welteroberungsplänen Einhalt zu gebieten."
Ob diese Befürchtungen wirklich eingetreten wären, ist nicht beweisbar, denn die Geschichte verlief eben so, wie sie verlief. Ich glaube aber: Man muss seine Ansicht als persönliche moralische Rechtfertigung für ihn und alle Nationalsozialisten, die das so verstanden, akzeptieren. Hatte die Furcht vor der "Weltrevolution" doch bis zum Zusammenbruch der Sowjetunion ihre volle Berechtigung. Die Gefahr bestand tatsächlich. Die Sowjetunion verkündete von Anfang ihrer Existenz an und erst recht auch nach dem großen Sieg 1945 die Notwendigkeit der Weltrevolution und bewies in der unmittelbaren Nachkriegsgeschichte mit ihrer aggressiven Politik, dass die Befürchtungen meines Vaters nicht unbegründet waren. Die Geschichte hat außerdem inzwischen bewiesen, dass der Sowjetkommunismus eine geistige Fehlkonstruktion und völlig unfähig war eine neue bessere Welt zu verwirklichen. Grenzenlose Armut und chaotische Zustände verblieben nach dem selbst verschuldeten wirtschaftlichen Zusammenbruch. Ich bin jedenfalls froh, dass ich mein Leben in einem Österreich, dessen Auferstehung 1945 noch keineswegs sicher war, verbringen durfte.

Mein Vater hat viel aus seinem Leben aufgeschrieben, aber über die Zeit an der Front gar nichts. Ich kann mich nur an einige Erzählungen erinnern: an Schilderungen von Schlamm, Dreck und endlosen Autokolonnen in Russland, an die Beschreibung russischer Bauernhäuser, wo im Winter wegen der großen Kälte die ganze Familie auf dem Kachelofen schläft; an Stellungen und Erdbunker, in denen es am dritten Tag nach einem Regen zu tröpfeln begann, und an das Kriegsende. Vater war damals irgendwo in Westdeutschland ungefähr drei Wochen vor Kriegsende von den Amerikanern eingekesselt worden und hatte angesichts des bevorstehenden Kriegsendes seine Einheit aufgelöst und die Leute entlassen. Ich frage mich heute: War er dazu überhaupt befugt? Dann hatte er sich mit zwei Kameraden hinter den Linien in Richtung Heimat abgesetzt. Wo er, ohne in Gefangenschaft zu geraten, schon im Mai 1945 wohlbehalten eintraf.

Da mein Vater bei der Partei war, so erhielt er vorerst keinen "Idi" = Identitätsausweis. Er konnte nicht über die Brücke in die amerikanische Zone und verlor dadurch auch seinen Arbeitsplatz als Buchbinder in Linz. Als vorläufige Zwischenlösung musste er sehr schlecht bezahlte Tätigkeiten als Hilfsarbeiter in der russischen Zone annehmen. Zuerst arbeitete er in einer Gärtnerei in Puchenau. Die befand sich am Klingberg, ungefähr dort, wo heute die Haltestelle Puchenau-West ist. Dann fand Vater etwas Besseres in einer Holzschuhfabrik in der Ottensheimer Straße in Urfahr. Auch darüber gibt es was zu erzählen: Da es kein Oberleder für die Holzschuhe gab, hatte sich der Unternehmer was anderes einfallen lassen: Er verschaffte sich einen größeren Posten ausgedienter KZ-Stoffe. So zierte denn das Streifenmuster eine ganze Generation von Holzschuhen und Holzschlapfen.

Zwischenzeitlich war Vater zeitweise interniert. Jemand hatte ihn angezeigt; durch eine Indiskretion der Gendarmerie haben wir aber doch erfahren, wer es war. Sonst wäre Vater möglicherweise gar nicht in die Mühlen der Entnazifizierungsjustiz geraten. Eigenartigerweise schritt nämlich die Staatsanwaltschaft nicht überall selbsttätig ein, wie das bei strafbaren Handlungen sonst der Fall ist, sondern nur bei Anzeige. Das lag, so vermute ich, vielleicht auch an gewissen Bedenken der Juristen. Viele Verbote und nachträgliche Unterstrafestellungen für Funktionen bei der NSDAP erfolgten durch rückwirkende Gesetze. Das widerspricht grundsätzlich den Menschenrechten und der Verfassung, die besagen: Niemand darf bestraft werden für Dinge, die zur Zeit der Tat nicht strafbar waren. (Lit. S. Veiter: "Gesetz als Unrecht" in meiner Bibliothek)

Vater wurde also angezeigt und kam in ein für "Ehemalige" eingerichtetes Internierungslager in Gründberg. Dieses Lager befand sich am Beginn der Auffahrtsstraße nach Neulichtenberg. Heute ist das Gebiet verbaut und nichts weist mehr darauf hin. Ich kann mich aber genau erinnern, da ich nach der Schule (ich besuchte die Jahnschule in Urfahr) fallweise meinen Vater besuchte und den Kontakt aufrecht hielt. Ich durfte auch ohne Problem ins Lager und zu Vater in die Baracke. Die Bewachung, sie lag in österreichischen Händen, nahm das offensichtlich nicht so tragisch. Heute ist es eigentlich undenkbar, dass ein zwölfjähriger Junge einfach beliebig in ein Gefängnis spaziert und dort seinen inhaftierten Vater besucht. Der verbrachte mehrere Wochen oder sogar Monate hier in Gründberg ohne Verurteilung. Was an sich rechtswidrig war und auch heute noch wäre. Aber damals – man darf das eben nicht so eng sehen! Tagsüber waren die Gefangenen meist bei Aufräumungsarbeiten eingesetzt. Mein Vater war hier recht schlau und geschickt. Er legte in dem von Baracken umsäumten Hof des Lagers, mit Genehmigung der Verwaltung natürlich, einen Gemüsegarten an. Was für ihn eine angenehmere und selbständigere Arbeit bedeutete als der Arbeitseinsatz mit der Partie. Der Ertrag kam den Aufsehern, die das Ganze ja genehmigen mussten, und den Lagerinsassen zugute. Ich kann mich neben Kohl und Kraut an prächtige Tomaten erinnern.

Endlich wurde dann Anklage vor dem so genannten Volksgericht erhoben und Vater wurde wegen Mitgliedschaft und Funktionen bei der NSDAP und SA sowie als Träger des Blutordens, den, wie ja allgemein bekannt, verdiente Kämpfer für den Nationalsozialismus erhalten hatten, im Jahre 1948 zu zwei Monaten (laut seinem Tagebuch I Seite 80) und Vermögensverlust verurteilt. (Letzteres ist in dem Tagebuch nicht erwähnt, das weiß ich aus der Erinnerung. Vielleicht finde ich noch irgendwo genauere Hinweise.) Er musste dann die Zeit in einem Lager in Pupping absitzen, war jahrelang vorbestraft, durfte bei den ersten Wahlen nicht wählen und, was für uns das Schwerwiegendste war: der Vermögensverlust. Das heißt, unser halbes Haus und Grund fielen an den Staat. Hätte nicht die zweite Hälfte Mutter gehört, wäre Vater Alleinbesitzer gewesen, wären wir möglicherweise auf der Straße gestanden. Was das im Jahre 1948 mit vier Kindern für eine Familie bedeutet hätte, brauche ich wohl nicht eigens zu erwähnen.

Nicht zuletzt erhielt Vater als Folge der Verurteilung vorerst keinen Identitätsausweis und konnte so lange Zeit nicht nach Linz über die Zonengrenze. Erst nach etwa einem oder zwei Jahren lockerten sich die Bestimmungen und Vater konnte wieder in seinem Beruf bei verschiedenen Verlagen in Linz als Buchbinder arbeiten. Seine Haushälfte durften wir nach einigen Jahren wieder zurückkaufen (lt. Tagebuch I S. 224 Rückkauf des Hauses). Das heißt, wir mußten, was uns eigentlich sowieso gehörte, dem Staat wieder ablösen. Ein moralisches Schuldbewusstsein haben wir diesbezüglich nie entwickelt. Es ging schließlich um unser Haus und unser Geld. Das sehe ich so bis heute natürlich ganz subjektiv. Nach dem Buchstaben des – rückwirkenden – Gesetzes war natürlich alles in Ordnung und Vater hatte sich auch vor Gericht im Sinne dieses Gesetzes schuldig bekannt.

Viel Glück und Geld hat das Vermögen aber der jungen Republik nicht eingebracht. Vater zeigte darüber immer eine gewisse boshafte Schadenfreude. Wir hätten eigentlich Miete bezahlen müssen für die Hälfte, die nun der Republik gehörte. Da das Haus bombenbeschädigt war, verrechnete Vater für den Wiederaufbau jeden ausgegebenen Schilling zur Hälfte auch auf den Anteil der Republik. Die Ausgaben für diesen Anteil überstiegen so laufend bei weitem die Miete. Ich glaube, wir haben tatsächlich nie was bezahlt. Für den Rückkauf, der einige Jahre später durch irgendeine entsprechende gesetzliche Regelung ermöglicht wurde, mussten sich meine Eltern bei Bekannten Geld borgen, obwohl der Betrag, dessen Höhe mir nicht bekannt ist, nach heutigen Maßstäben eher gering war. Nicht vergessen: Es waren ja noch die Russen im Land. Österreich hatte noch keinen Staatsvertrag und die Zukunft war ungewiss. Da waren Liegenschaften nördlich der Donau nicht viel wert.

Die Zeit verging, Vaters Vorstrafe wurde getilgt und er war wieder unbescholten. Das war auch für uns vier Kinder gut. Lebten wir doch bis zu Ende der Vierzigerjahre mit dem Gefühl der Ausgegrenztheit und der Unsicherheit über unsere Zukunft. Es gab sogar Gerüchte, dass man uns vielleicht an die Russen ausliefern würde. Als Anzahlung für den zu erwartenden Staatsvertrag? Ich habe nie herausgefunden, was daran wirklich ernst zu nehmen war.

Zu unserem Glück und zum Leidwesen mancher moderner politisch überkorrekter Eiferer, denen die Urteile von damals viel zu milde erscheinen, entwickelten sich die Dinge doch recht versöhnlich und vernünftig. Wir Kinder, die Familie, konnten so der diskriminierenden Ausgrenzung entkommen. Wir waren in der Lage die neue Ordnung und die Zweite Republik ehrlich anzuerkennen und unseren Platz zu finden. Die aktive Teilnahme am wirtschaftlichen und politischen Wiederaufbau stand vor allem uns Kindern uneingeschränkt offen. Vater zog sich nach seinen Erfahrungen mit der Politik ganz ins Privatleben zurück und widmete sich bis zu seinem relativ frühen Unfalltod seinen privaten Studien: Tiefenpsychologie, Verhaltensforschung, Mythen, Märchen und Traumdeutung sowie schriftstellerischer Tätigkeit.

Ich habe lange überlegt, ob ich über diese NS-Vergangenheit überhaupt schreiben soll. Dann entschloss ich mich aber doch dazu. Ich glaube, auch diese Seite des Lebens nach dem Schicksalsjahr 1945 muss zur Kenntnis genommen werden. Es gab 1945 nicht nur die Befreiung aus dem KZ und endlich das Kriegsende, nicht nur den Sieg der Alliierten einschließlich des Sieges der Roten Armee. Da waren auch "Verlierer" wie mein Vater, die ehrlich an den "Führer" und die Möglichkeit, eine bessere Welt zu schaffen, geglaubt hatten. Verlierer, die im Nationalsozialismus die einzige politische und geistige Kraft gesehen hatten, dem Weltrevolutions- und Welteroberungsplänen des Bolschewismus unter Stalin Einhalt zu gebieten. Verlierer, die an der Front ihre lebensgefährliche "Pflicht" bis zum bitteren Ende erfüllt hatten. Sie standen nun auf der falschen Seite und fanden sich als Verbrecher wieder. Auch dann, wenn sie sich persönlich weder bereichert noch an irgendwelchen Verbrechen beteiligt hatten.



nach oben(1) (2) (3) (4) (5) (6) (7) (8) (9) (10) (11) (12) (13)


"Oberösterreich in der Zeit des Nationalsozialismus"
ein wissenschaftliches Großprojekt des Landes

Näheres zum Projekt, sowie zur detaillierten Publikationsliste (Stand Oktober 2007) ...