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Wie ich als Elf- bis Zwölfjähriger die Endzeit des
Krieges und die Jahre unmittelbar nach 1945 erlebte

Meine Erinnerungen - Einleitung
Die Kriegs- und Notzeit vor und nach 1945
Was sich damals in Puchenau ereignete
Bomben auf Puchenau
Der große Bombenangriff
Bei der Hitlerjugend
Im Dienste der Gemeindeverwaltung
Die letzten Tage vor Kriegsende
Keine Angst?
Die Besatzungszeit nach dem Einmarsch der Amerikaner
Die letzten Tage im Mai 1945. Wie wir lebten
Die Russen sind da. Die Donau als Demarkationslinie.
Mein Vater war Nationalsozialist


Kunst u. Zeitgeschichte:
Herbert Friedl - Maler,Grafiker; Objekt- und Raumkünstler

Timeline zur Oberösterreichischen Zeitgeschichte 1938

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Was sich damals in Puchenau ereigneteMeine Erinnerungen - EinleitungDie Kriegs- und Notzeit vor und nach 1945


In den Jahren 1940 und 41 verspürten wir noch nicht viel vom Kriege. Es gab zwar nicht mehr alles zu kaufen und Lebensmittel, Brennstoffe und Kleidung waren bereits rationiert. Sofort bei Beginn des Krieges waren Lebensmittelkarten eingeführt worden. Brennstoffe und Textilien wurden mittels Bezugsscheinen zugeteilt. Die Rationen waren jedoch noch großzügig und es mangelte uns kaum an etwas.

Erst gegen Ende des Krieges, so etwa im Laufe des Jahres 1944 und nach 1945, wurde es echt eng und es wurde für Mutter zusehends schwieriger uns vier Kinder und Fresssäcke satt zu kriegen. Da mussten alle Möglichkeiten für eine zusätzliche Beschaffung von Lebensmitteln ausgenützt werden. Ab und zu schickten uns die Bielefelder Verwandten ein paar Brotmarken, die sie irgendwie erübrigen konnten; auch unser Bäcker überließ uns manchmal ein Kilo Brot ohne Marken; dafür haben wir ihm dann, als die Zeiten wieder besser wurden, als Kunden viele Jahre die Treue gehalten. Die zugeteilten Zigaretten, die wir nicht brauchten, tauschten wir gegen Butter oder was sonst zu haben war ein. Zigaretten bildeten eine Zeit lang überhaupt eine Art Währung für Dienstleistungen verschiedenster Art. Auch Ware auf Bezugsschein war in den Geschäften nicht immer zu bekommen. Einige Zigaretten, unauffällig angeboten, wirkten da manchmal Wunder.

Im Garten wurde jedes kleinste Fleckchen für den Anbau von Gemüse ausgenützt. Das war schon während des Krieges so und in noch intensiverem Ausmaß in den ersten Jahren danach. Der Blumengarten wurde stark verkleinert. Ich besaß selber einen kleinen Blumengarten. Der blieb mir erhalten. Aber auch ich, der schon immer ein begeisterter Gärtner war, befasste mich der Not der Zeit gehorchend sehr eingehend mit der Fressbotanik und nahrhaftes Gemüse von Paradeisern bis Karotten verdrängte einen Teil der geliebten Blumen. Wir vertilgten ungeheure Mengen von Gemüse aller Art. Weil mit Fett und Mehl gespart werden musste, sättigten diese Mengen nur ungenügend. Auch Kartoffeln, zumindest Frühkartoffeln, bauten wir an und versorgten uns mit dieser wichtigen Frucht zumindest im Sommer ausreichend selber. Die Einlagerungskartoffeln für den Winter besorgten wir in Teilmengen von verschiedenen Bauern, so dass doch einige hundert Kilo zusammenkamen. Ich glaube mich auch zu erinnern: Gemüse- und Obstkarten bzw. Zuteilungen waren nur für die Stadtbevölkerung vorgesehen. Wir, die wir in Puchenau schon in einem Landbezirk wohnten, mussten uns selber helfen. Darüber wurde oft geschimpft. Es nützte aber nichts. Da auch nicht genügend Zucker für Marmelade oder für Mehlspeisen zur Verfügung stand, bauten wir im Garten sogar zwischen den Ribiselsträuchern Zuckerrüben an. Der geschnetzelte Rübenbaz wurde mit Ribiseln und Rhabarber vermischt. Die sauren Ribiseln und der Rhabarber wurden so genießbar – eine Offenbarung war das Ganze aber nicht. Vater nannte das humorvoll RiRhaRuBa. Das heißt: Ribisel-Rhabarber-Rübenbaz. Auch Sirup erzeugten wir durch Kochen der Rübenschnitzel. Es wurde ein ziemlich dünner brauner Saft. Aber er schmeckte süß. Man konnte damit sogar Mehlspeisen süßen, was diese allerdings recht patzig machte. Das war aber auch wieder egal, denn das schwarze Mehl, weißes gab es in den ersten Zeiten nach 1945 überhaupt nicht, erlaubte sowieso keine ordentliche Mehlspeise.

Ein Wunder war dann fast, als es einmal bei den Ringbrotwerken im Geschäft in der Rudolfstraße Semmeln aus Maismehl gab. Sie sahen appetitlich gelb aus, viel appetitlicher als die schwarzen zähen Datschen aus schlechtem Mehl und sie schmeckten wunderbar. Polenta tauchte damals erstmals auf unserem Speisezettel auf und half die ärgsten Versorgungslücken zu stopfen. Viele Leute schätzen Polenta nur als Notzeitnahrungsmittel. Ich mag ihn auch heute noch gern. Von amerikanischen Hilfssendungen und auch von den Schiffen, die auf der Donau in Puchenau in Dreierreihen ankerten, erhielten wir bei Zuteilungen immer wieder Erbsen und Bohnen. Das heißt: Die Zuteilungen erfolgten über die Geschäfte, von den Schiffen. Das musste man rechtzeitig erfahren und dann schnell sein. Außerdem nähte Mutter, die gelernte Schneiderin war, für verschiedene Leute. Beliebt war das Umarbeiten von Uniformen. Als Lohn wurden Naturalien wie Erbsen, Bohnen, Linsen und Schmalz gegeben. Irgendwie ging es also immer wieder weiter. Auch wenn Mutter am Morgen oft noch nicht wusste, wie wir diesen Tag über die Runden kommen würden. Wir waren natürlich schon einigermaßen mager. Ich weiß noch, dass mir die Rippen deutlich herausstanden, und Hunger hatte ich fast immer. Da blieb kein Apfel auf der Straße ungegessen und man musste schnell sein, denn es gab noch mehr Leute, die hungerten. Da blieben nicht hunderte Äpfel unter den Bäumen liegen wie heutzutage. Sogar Mostbirnen verschmähten wir nicht. Ich hatte zeitweise ein richtiges Lager. Wenn man Mostbirnen einige Tage liegen und reifen läßt, werden sie innen braun und süß. Ich glaube, ich habe sie manchmal kiloweise gegessen. Trotzdem, Hungergestalten, wie wir sie heute aus der Dritten Welt kennen, hat es nicht gegeben. In der Erinnerung bewahre ich auch einige Bilder an furchtbar abgemagerte Pferde und Kühe bei den Flüchtlingskolonnen aus dem Osten. Sichtbare Rippen, eingefallener Bauch und weit herausstehende, bei einem der Pferde blutig verletzte Beckenknochen waren kennzeichnend für deren Zustand. Die Versorgungslage besserte sich langsam und bis gegen Ende der vierziger Jahre bzw. so um 1950/51 herum wurde das Angebot wieder reichlicher und es erübrigten sich allmählich die Lebensmittelkarten und die anderen Rationierungen.

Sehr fühlbar war in der Notzeit ab 1944 und besonders nach 1945 auch der Brennmaterialmangel. Da wir nur einen ganz kleinen Elektrokocher zur Verfügung hatten – niemand kochte damals elektrisch, wie heute selbstverständlich –, wurde der Küchenherd auch im Sommer mit dem kostbaren Heizmaterial Holz und Kohle betrieben. Was den Bedarf noch ungebührlich erhöhte. Im Winter saßen wir ohnehin meist alle in der winzigen Küche, weil für die Beheizung des Wohnzimmers nicht genügend Material zur Verfügung stand. Holzklauben in den Wäldern war angesagt und es gelang mir, erstaunliche Mengen an Brennholz herbeizuschaffen. Meine zwei jüngeren Brüder wurden zur Mitarbeit verdonnert und mit zwei Leiterwagen, also Handwagen, zogen wir in der langen schulfreien Zeit des Sommers 1945 mehrmals in der Woche los in die Wälder. Wir sammelten Fallholz und Tannenzapfen, beluden die Wagen bis zum Geht-nicht-mehr und schleppten sie nach Hause. Das war nicht einfach. Die Wege waren schlecht, steil und nicht leicht zu befahren; manchmal kippte auch eine Fuhre um. So gelang uns mit viel Mühe eine wirkliche Verbesserung der Versorgung mit dem anders nicht zu beschaffenden Brennmaterial.



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"Oberösterreich in der Zeit des Nationalsozialismus"
ein wissenschaftliches Großprojekt des Landes

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