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Zeitzeuge Franz Wurm

Erinnerungen aus dem Leben
eines ehemaligen Kollerschlägers

Der Ort und die Familie
Die Kriegszeit und das Ende des Krieges
Persönliche Erlebnisse aus dieser Zeit:
Der Onkel Edi und der Firmling Franzi
Auszug und Heimkehr – Ende des tausendjährigen Reiches
Besatzung:
Erst die Amerikaner
Dann die Russen
Einkehr der Normalität


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Besatzung: Erst die AmerikanerDer Onkel Edl und der Firmling FranziPersönliche Erlebnisse aus dieser Zeit:
Auszug und Heimkehr – Ende des tausendjährigen Reiches


Der Älteste, mein Bruder Hansi, war von Vorneherein für die Übernahme des Erbes bestimmt. Für mich war ein anderer Weg vorgezeichnet und so wurde ich nicht zuletzt aus Gründen der Not zum Onkel Pfarrer, Heinrich Wurm, nach St. Georgen zum Besuch der Hauptschule in Grieskirchen verfrachtet. Zu Ostern 1945 kam meine Schwester Paula zu Besuch auf den Pfarrhof. Die Köchin des Onkels war ihre Firmpatin und das war für Paula eine Gelegenheit sich wieder einmal satt zu essen. An einen Besuch der Schule war kaum mehr zu denken. Wir verbrachten den Großteil der Unterrichtszeit im Keller der Grieskirchner Brauerei. Uns wurde das Schuljahr 1944/45 deshalb auch nicht angerechnet, es musste wiederholt werden.

Onkel Pfarrer hat entschieden, dass ich meine Schwester Paula, die um zwei Jahre jünger war als ich, ins Elternhaus nach Kollerschlag bringe. Wir zwei Kinder fuhren mit dem Zug von Grieskirchen nach Passau. Das war damals der übliche Weg, weil die Verbindung über Linz wesentlich schlechter war. Die benutzte Bahnstrecke war wegen der Militär- und Rüstungstransporte ein begehrtes Ziel von Tieffliegern und die Bahnhöfe und Brücken waren häufig Ziele von Bombenangriffen. Kaum in Passau angekommen gab es Fliegeralarm. Meine Schwester und ich verließen so rasch als möglich den Bahnhof und flüchteten durch die Straßen der Innstadt. Laufend wurden wir von Luftschutzwarten in Luftschutzkeller gedrängt, konnten ihnen aber immer wieder entkommen. Die Bombeneinschläge weiter hinter uns lassend erreichten wir den Stadtausgang auf der Straße nach Engelhartszell. Gepäck hatten wir nicht viel. Ich hatte nur das, was ich am Leib trug, meine Schwester ein kleines Köfferchen. Wir gingen den ganzen Nachmittag und erreichten gegen Abend Obernzell. Dort fuhren wir mit der Fähre über und hatten das Glück noch einen Autobus der Firma Späth nach Wegscheid zu erreichen. Von Wegscheid ging es wieder zu Fuß nach Kollerschlag. Bei Einbruch der Nacht kamen wir an und wurden angesichts der gefahrvollen Reise freudig im Familienkreis aufgenommen. Auszug und Heimkehr waren glücklich überstanden.

In Anbetracht der Verhältnisse ließ meine Mutter eine Rückkehr zu Onkel Pfarrer nicht mehr zu. Abgesehen von den im Ort untergebrachten Soldaten und den Kriegsgefangenen waren im Ort fast nur mehr Frauen und Kinder, auch mein Vater wurde eingezogen und zur Bewachung von Gefangenen in Linz eingeteilt. Alles, was noch erfassbar war von 14 Jahren aufwärts, wurde im örtlichen Volkssturm zusammengefasst. Wir Jüngeren wurden zu Meldegängen herangezogen, denn Telefonverbindungen in die Nachbarschaft gab es keine.

Tieffliegerangriffe wurden immer häufiger, sogar einzelne Feldarbeiter wurden nicht verschont.
Truppenbewegungen und das Auftauchen des Gauleiters Eigruber deuteten auf den Aufbau einer Verteidigungslinie an der Grenze zur Ostmark, wie Österreich damals hieß, hin. Wegscheid wurde zu einer Festung ausgebaut. Ab Mitte April war dann vereinzelt der Lärm des Krieges aus dem Bayerischen deutlich zu hören. Jetzt war es an der Zeit Vorbereitungen zum Verlassen des Ortes zu treffen. Das Ziel unserer Flucht war schon bekannt. Meine Mutter hat schon vorher mit dem Beribauern vom einsam gelegenen Bauernhof unterhalb vom Ortner in der Raschau vereinbart, dass wir im Falle einer Flucht zu ihm kommen. Ein Leiterwagen wurde vorbereitet mit langen Haselnussstöcken für eine Überspannung zum Schutz vor Regen.
Am Morgen des 30. April waren mein Bruder und ich dabei zwei große Blechbehälter mit Schweineschmalz, die von den Ungarn waren, hinterm Stadel in der Hofwiese zu vergraben. Die Arbeit war noch nicht ganz abgeschlossen, als wir Geschützdonner aus Richtung Wegscheid hörten. Aus den Wäldern rund um Wegscheid kamen Panzer im Schutz von künstlichem Nebel angefahren.
Jetzt war es an der Zeit, die Grube zu verdecken und ins Haus zu flüchten. Was die Familie zusammenraffen konnte, wurde im Keller gelagert, lebenswichtige Dinge auf dem Fluchtwagen verstaut. Im Oberort beim Huaderer, beim Greamann, schlugen schon die ersten Granaten ein, bis auf unsere Dächer war das Aufprallen der Splitter zu hören. Rasch wurde eingespannt und der Ort Richtung Schröck verlassen. Beim Beribauern wurde die ganze Familie, drei Frauen und sieben Kinder, im Getreidespeicher untergebracht. Essenszubereitung und -einnahme waren in der Bauernstube. Am Nachmittag sind mein Bruder und ich zu Fuß aufgebrochen, um zwei Kühe aus dem Stall daheim zu holen. Von Raidern aus sahen wir eine dichte Rauchwolke über dem brennenden Ort Wegscheid. Auch über Kollerschlag war Rauch zu sehen. In der Zwischenzeit ging auch das Schlosserhaus und das Schichlhaus in Flammen auf. Wie wir später gesehen haben, wurde auch das Ziegelschlagerhaus in der Leitn ein Raub der Flammen. Amerikanische Artillerieaufklärungsflieger waren unentwegt unterwegs; wo sich etwas rührte, krachten in den nächsten Minuten Granaten ein. Wir wählten daher den Weg durch den Wald bis unterhalb vom Löffler und pirschten uns entlang der Feldraine an den Ort heran. Das Schröck-und-Leitn-Holz war voll von Soldaten, die alle auf ihren Einsatz warteten. Gott sei Dank, dass ein solcher Befehl nicht kam, denn dadurch blieb Kollerschlag das Schicksal von Wegscheid erspart. Im Unterort war es relativ ruhig, im Oberort, vom Ortseingang und entlang der Straße Richtung Hanging schlugen laufend Granaten ein. Beim Nachbarn, beim Reicherl, hat im Hof eine Granate eingeschlagen, einem Rind dort im Stall war ein großer Fleischbrocken aus dem Hinterteil herausgerissen worden.

In unserem Stall standen vier Kühe zitternd im Stand, die Ochsen fehlten. Wie sich später herausstellte, hat sich der Hofmannhans die Ochsen für die Flucht in den Eschernhof ausgeliehen. Bei Einbruch der Dunkelheit verließen wir mit zwei Kühen ohne Probleme den Ort und brachten sie zur geflüchteten Familie. Am Morgen des l. Mai ging ich wieder in den Ort. Die Soldaten vom Vortag waren nicht mehr im Wald. Rauchwolken standen immer noch über beiden Ortschaften, aber Geschütz- oder Gewehrfeuer war nicht mehr zu hören. Beim Brunnbauer sah ich den ersten Amerikaner. Ich überquerte die Straße und lief am Steig hinter den Häusern zu unserem Haus. Beim Haus war alles in Ordnung. Durch die Straße wälzte sich die Streitmacht der Amerikaner. Ich ging mit dem alten Stöbich und dem Jagermannheli zur Putzerei hinterm Jocherl. Von dort sah man die Übermacht der Amerikaner. Vom Ringenberger bis zur Reib, von dort bis zum Kainberger standen Geschütze, eines neben dem anderen, und feuerten Richtung Osten. Oberhalb vom Krentischler bis zum Wald waren alle Äcker voller Panzer. Beim Haus zurückgekehrt rüttelten schon Soldaten an der Tür. Ich winkte mit dem Schlüssel und sperrte dann auf. Sie fragten nach Fotoapparaten, nach Uhren und durchsuchten das ganze Haus, wobei ich immer vom Keller bis zum Dachboden vorgehen musste. Die Amerikaner machten es sich gleich gemütlich, heizten den Ofen an, denn damals gab es am l. Mai etwa 10 cm Neuschnee. Im Hof wurden Feuer aus Schindeln gemacht, alles, was brauchbar war, haben sie sich genommen.
Erstmals in meinem Leben sah ich einen Schwarzen.
Dem war sehr kalt, der hat sich immer auf den warmen Ofen gesetzt. Am späten Nachmittag kam die Familie wieder vom Fluchtort zurück. Wir konnten alle nur den Saal benutzen, denn alle anderen Räume wurden von den Amerikanern besetzt.
Die Männer im wehrfähigen Alter ab 17 Jahren wurden im HJ-Heim gefangen gehalten. Darunter war auch ein SS-Soldat, der musste die ganze Zeit auf einem Tisch sitzen und wurde von außen durch das Fenster mit einem Scheinwerfer beleuchtet. Pfarrer Kerschbaummayr ist es gelungen, die ortsansässigen Männer nach einigen Tagen vor dem Abtransport zu bewahren, und hat ihre Freilassung erwirkt. Wie es zu dieser für den Ort erfreulichen Übergabe kam, war dem beherzten Einschreiten dreier Männer zu verdanken.

In der Nacht zum l. Mai ist Wegscheid gefallen, worauf sich auch die Deutsche Wehrmacht, soweit man davon noch reden konnte, aus Kollerschlag zurückgezogen hat. Der Hurnaus, vulgo Mathoisn, der Wöß Emmerich und der Kriegsgefangene von Heinrich Baumüller gingen mit einer weißen Fahne Richtung Hanging. Sie haben im Hangingerholz den Amerikanern erklärt, dass Kollerschlag frei von deutschen Soldaten ist und deshalb einer friedlichen Besetzung nichts mehr im Wege steht. Sie mussten bei Einsatz ihres Lebens auf dem ersten Fahrzeug aufsitzen und es wurde ihnen erklärt, falls ein Schuss fällt, sind sie die Opfer. Schuss ist keiner gefallen und so wurde nach dem schrecklichen Vortag der Ort friedlich besetzt. Mit dem l. Mai 1945 ging für Kollerschlag die Ära des tausendjährigen Reiches zu Ende. Viele Männer waren noch in Gefangenschaft, aus der als Letzter der Fellhofer aus Stratberg, ein Stalingrader, erst 1952 in die Heimat zurückkehrte. Die vielen, die ihr Leben während der Zeit des Reiches verloren haben, geben Zeugnis, wie viel Leid und Tränen für die Bevölkerung diese Epoche verursacht hat. Das Ende war da, die Besatzung, man stellte sich die Frage: Wo ist die Freiheit, wo ist der Neuanfang?


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"Oberösterreich in der Zeit des Nationalsozialismus"
ein wissenschaftliches Großprojekt des Landes

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