Erinnerungen 1944 bis 1946 ...von F. Wiener
Der tragische Tod meiner Tante ...von F. Wiener
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Autor: Friedrich Wiener
Die Frau von Pastor Bergmann in Hallstatt war nach den NS-Nürnberger Rassegesetzen ein Mischling, das heißt, jüdischer Abstammung. Bisher waren solche Frauen, wenn sie mit Ariern verheiratet waren von vielfältigen, wiederholten Schikanen abgesehen von Säuberungen verschont geblieben.
Am Nachmittag des 8. Februar 1945 sollte Frau Bergmann wie alle anderen dieser Frauen verhaftet und anderntags nach Linz gebracht werden.
Der Gendarm gewährte ihr noch, die letzte Nacht bei ihrer Familie zu verbringen, und wollte sie um vier Uhr morgens abholen. (1)
Am Morgen war die Frau verschwunden. Es fand sich ein Zettel in der Küche: „Sucht mich nicht, ihr werdet mich nimmer finden!“ Der Pastor und die größeren der fünf Kinder wurden streng und lange verhört, ob sie der Verschwundenen nicht zur Flucht verholfen hätten, da ein junger Hallstätter angab, die Pastorengattin am Bahnhof in Attnang-Puchheim gesehen zu haben (und er hatte Recht! Anm. d. Verfassers).
Einige Zeit später meldete eine Frau, die Leiche der Frau im See schwimmen gesehen zu haben.
Man hielt den Trauergottesdienst für die Verstorbene; die gesamte Gemeinde war arg geschockt.
Die kleine, sehr zarte und kränkliche Frau hatte insgeheim ihre Flucht von langer Hand geplant und präzise vorbereitet: Sie war früher Rote-Kreuz-Schwester gewesen und hatte noch die Schwesterntracht. Von ihrer Schwester aus Oppeln in Schlesien, die sich wegen der NS-Verfolgung umgebracht hatte, besaß sie noch einige Dokumente. In Schwesterntracht, nur ihren Mantel übergeworfen, wanderte sie in der Winternacht nach Steeg am Hallstättersee und bestieg dort die Eisenbahn. Sie saß im selben Zug, in dem die beiden Frauen Wagner und Olga Mühlbacher (2), beide aus Bad Ischl und Mischlinge wie sie, nach Linz eingeliefert wurden.
Von Attnang-Puchheim fuhr sie nach Passau weiter. Dort meldete sie sich in einem Lazarett und erklärte, alle ihre Habe während der Flucht vor den Russen verloren zu haben. Als Schwester Alma pflegte sie drei Monate Verwundete im Kriegslazarett ohne Verdacht zu erwecken. Nur dem katholischen Geistlichen vertraute sie sich an, für den Fall, dass ihr etwas zustoßen sollte.
Als die Amerikaner im Mai in Passau einmarschierten und das Lazarett übernahmen, trat sie aus der Reihe der Schwestern vor und erklärte: „Ich bin nicht Schwester Alma, sondern die Gattin von Pastor Bergmann aus Hallstatt!“
Wenige Tage nach Kriegsende fuhr ein amerikanisches Auto beim evangelischen Pfarrhaus in Hallstatt vor, dem ein amerikanischer Offizier und Frau Bergmann, die für tot gehalten wurde, entstiegen.
Der Offizier ging ins Haus voran und bereitete die Familie auf die Rückkehr der Mutter vor.
Dieser Aufsehen erregende Vorfall ist in Hallstatt allgemein bekannt, im übrigen Salzkammergut jedoch nicht.
Die Pastorenfamilie ist später in die USA ausgewandert. Sohn Fritjof erhielt nach dem II. Weltkrieg ein Stipendium (Fulbright?) in den USA. Er blieb in den USA und ist dort Universitätsprofessor. (Im Frühsommer des heurigen Jahres ist ein sehr interessantes Gespräche-Interview mit ihm in der Furche erschienen. (Vermutlich war Fritjofs Aufenthalt in den USA Ursache für die Auswanderung der Familie.)
(1) Der Gendarm wurde wegen dieses Entgegenkommens strafversetzt und degradiert.
(2) Von Frau Olga Mühlbacher liegt ein berührendes, sehr treffendes Tagebuch (maschinegeschrieben) aus dieser Zeit im OÖ Landesarchiv auf.
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